Das Interview
Geführt von Bianca Czeipek
Liebe Julia, es freut mich sehr, dass wir heute die Gelegenheit haben, uns persönlich auszutauschen. Vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst, uns mehr über deinen spannenden beruflichen Werdegang zu erzählen. Besonders faszinierend ist, dass du die Pharmazie aus so vielen verschiedenen Perspektiven kennengelernt hast. Ich bin schon sehr gespannt auf deine Insights!
Aber als Allererstes möchte ich natürlich wissen:
Was ist dein beruflicher Werdegang – deine Person ist in so vielen Pharma-Ecken zu finden, da wollen wir natürlich Details.
Mein akademischer Hintergrund liegt in der Pharmazeutischen Chemie. In meiner Dissertation habe ich neue, antivirale Wirkstoffe gegen das Chikungunya-Virus optimiert, wobei über 90% der getesteten Verbindungen aktiv waren – der beste Wirkstoff zeigte eine Aktivität im nanomolaren Bereich.
Anschließend habe ich mich mit dem Thema Arzneimittelsicherheit beschäftigt, seit diesem Zeitpunkt bin ich auch Mitglied der Expertengruppen der Österreichischen und Europäischen Pharmacopoeia (Anmerkung der Redaktion: Arzneibuch = rechtlich bindende Vorschriften und Qualitätsstandards für Arzneistoffe und -mittel).
2016 folgte der Wechsel in die Industrie: Begonnen als Head of R&D bis hin zu Director R&D bzw. Vice President Innovation und der Gewerberechtlichen Geschäftsführung für die Chemischen Labore. Als Vice President Innovation war ich für die Leitung des Unternehmensbereichs bestehend aus 4 Abteilungen (R&D, Innovation Lab, Skin Research Institute, Regulatory Affairs) zuständig und u.a. für das Strategische Management aller innovationsbezogener Tätigkeiten inkl. Produktentwicklung verantwortlich.
Aktuell freue ich mich als Gastprofessorin an der PMU Salzburg meine Erfahrungen aus der Praxis an die nächste Pharmazie-Generation weiterzugeben.
Parallel dazu bin ich als Consultant in der Industrie verblieben – und einige Tage im Jahr bin ich auch in der Apotheke hinter der Tara anzutreffen 😊
Du hast früh den Schritt in die Industrie gewagt und warst viele Jahre im Bereich R&D tätig. Was hat dich besonders an diesem Bereich gereizt?
Ich habe eine Leidenschaft für Innovationen – für Produkte, die die Zielgruppe begeistern und die wirtschaftlich erfolgreich sind. Dabei finde ich Geschwindigkeit und Vielfalt motivierend.
In den Jahren bei der Cura Cosmetics Group haben wir ca. 200 Produkte pro Jahr für unterschiedliche Kund:innen und Marken entwickelt und auf den Markt gebracht: Von regionalen bis internationalen Unternehmen, vom Mass Market bis zu Premiumprodukt, von konventionell bis zu zertifiziert biologisch war alles dabei. Die Märkte waren die EU und das Vereinigte Königreich mit einem Fokus auf den DACH-Raum, aber auch international. Produktgruppen waren in erster Linie Kosmetik und Nahrungsergänzung, wir hatten aber auch Projekte aus der Pharmazie, beispielsweise galenische Entwicklungen.
Der Rundumblick begeistert und motiviert mich immer wieder aufs Neue: Zuerst ist die Idee im Kopf, dann der Prototyp am Schreibtisch und zum Schluss sieht man das fertige Produkt im Regal und/oder im Online Shop.
In deinem Lebenslauf spielt Innovation eine wichtige Rolle. Wie hast du den Spagat zwischen Marktbedürfnissen, Forschung und Entwicklung hinbekommen, um relevante Produkte mit deinen Teams zu kreieren?
Ich denke, einer der Erfolgsfaktoren ist eine enge Zusammenarbeit zwischen R&D, Marketing, Produktmanagement und Vertrieb. Jeder Blickwinkel ist wichtig. Nicht für jede technische Innovation gibt es einen Markt – umgekehrt hat nicht jeder gehypte Rohstoff tatsächlich einen spürbaren Kundennutzen. In der gemeinsamen Arbeit entstehen innovative Produkte, die einen echten Mehrwert für Kund:innen bringen.
Zusätzlich würde ich sagen, dass Kreativität, ein Gespür für Markttrends und Geschwindigkeit bei der Umsetzung entscheidend sind.
Auf welche Produktentwicklungen bist du besonders stolz?
Wir haben 2016 eine Produktlinie für einen Kunden entwickelt, die auch heute noch in dieser Form am Markt ist – ein langer Produktlebenszyklus in der schnelllebigen Kosmetikindustrie. Der Ansatz für die Produkte war damals holistisch gedacht, natürlich, biologisch, nachhaltig – und selbstverständlich ohne Kompromisse bei der Convenience. Wir haben die Produktlinie in jeder Hinsicht innovativ gestaltet – und ich denke, der Erfolg gibt uns recht.
Wir haben aber nicht nur Produkte entwickelt, sondern auch Inhaltsstoffe: Eines unserer Projekte war hier die Entwicklung von Pflanzenextrakten, die die Lebensspanne in einem speziellen Testmodell verlängern. Das beeindruckende Ergebnis war: 80% unserer getesteten Pflanzenextrakte zeigten eine Wirkung, und der beste Extrakt war genauso effektiv wie die Positivkontrolle.
Wie funktioniert deiner Meinung nach eine gute Zusammenarbeit zwischen Forschung & Entwicklung und Kommunikation?
Auch in der Entwicklung von Kommunikationsmaßnahmen sehe ich die Zusammenarbeit verschiedener Abteilung von Vorteil und ich denke, dass der Ansatz „one size fits all“ nicht funktioniert. Es ist entscheidend, die Kommunikationsstrategie auf die jeweilige Zielgruppe anzupassen und dabei die relevanten Informationen klar herauszustellen. Sei es in Bezug auf wissenschaftliche Daten, technologische Innovationen – letztlich geht es in erster Linie um die Vorteile, die der Kunde mit dem Produkt hat. Details, die im jeweiligen Kontext nicht von Interesse sind, treten dann gerne in den Hintergrund, um die Kommunikation klar und präzise zu halten. Dabei müssen die Inhalte immer relevant und praxisnah, idealerweise auch erlebbar sein.
Ein zentraler Punkt für mich war immer, den Endverbraucher mitzudenken. Ziel ist es, zum Beispiel Health Care Professionals (HCPs) die richtigen Werkzeuge an die Hand zu geben, damit sie das Wissen und die Informationen bestmöglich an ihre Patient:innen oder Kund:innen weitervermitteln können. Es geht also nicht nur um die Vermittlung von Wissen, sondern auch darum, wie dieses Wissen im Gespräch und in der Beratung umgesetzt wird.
Ich arbeite dabei immer nach dem Prinzip, dass die Kommunikation im Dreieck am besten funktioniert, ein Beispiel aus der Pharmazie könnte sein:
- Endkonsument:in: Was ist der größte Kundennutzen, was ist für Konsument:innen relevant?
- Apotheker:in: Was ist der wissenschaftlicher Hintergrund und die tiefergehende Erklärung?
- Apotheker:in & PKA: Wie kann ich das Wissen bestmöglich an meine Kund:innen weitergeben, welche Kommunikationstools stehen mir zu Verfügung?
Du bist auch seit vielen Jahren in der Lehre tätig und unterrichtest komplexe wissenschaftliche Inhalte. Wie gelingt es dir, diese Inhalte verständlich und anschaulich deinen Student:innen zu vermitteln?
Generell versuche ich, meinen Student:innen Zukunftsfähigkeiten mitzugeben: D.h. ihnen Fähigkeiten zu vermitteln, die sie in 5 Jahren noch brauchen können und die auch die Industrie bzw. Apotheke brauchen kann. Ich lege den Fokus auf relevante Themen und versuche das Wissen erlebbar, spürbar, anwendbar zu machen. Ich denke, das hilft sehr.
Praxisrelevanz ist mir ein besonderes Anliegen. In den vergangenen 1,5 Jahren sind viele Kooperationen mit der Industrie, der Apothekerkammer, dem Apothekerlabor entstanden, die Theorie und Praxis miteinander vereinen. Auch in der Lehre ist mir der Praxisbezug wichtig: In der Lehrveranstaltung „Übungsapotheke“ habe ich mit meinen Student:innen z.B. eine Reklamationsdatenbank erstellt, um effizient Verbesserungen für das Qualitätsmanagement ableiten zu können. Mir ist auch die wirtschaftliche Perspektive sehr wichtig, wobei mir aktuelle Apothekenmarktstudien helfen (Danke an Mag. Christina Nageler von der IGEPHA für den Support)!
Und Mystery Shopping Touren in Apotheken geben meinen Studierenden realistische Einblicke aus Kund:innensicht.
Anmerkung der Redaktion: Julia hat schon 2x den Teacher of the Year Award gewonnen, ein Zeichen dafür, dass sie ihren Job an der Uni wirklich gut macht!
Um am Ball zu bleiben, arbeitest du auch regelmäßig hinter der Tara. Welche Rolle spielt deiner Meinung nach Fortbildung für Apotheker:innen und PKA?
Fortbildung ist in der Apotheke unverzichtbar, um eine optimale Beratung im Gesundheitsbereich zu gewährleisten. Wer Patient:innen und Kund:innen bestmöglich unterstützen möchte, muss stets auf dem neuesten Stand sein – und das erfordert qualifizierte Fortbildungen.
Für mich gibt es zwei zentrale Aspekte, die die Bedeutung von Fortbildung unterstreichen:
- Der Gesundheitsaspekt:
Mein persönlicher Leitsatz lautet: Als Apotheker:in kann man mit Wissen und den zahlreichen verfügbaren Möglichkeiten für jede:n Patient:in individuell das Beste herausholen. Damit das gelingt, ist Fortbildung essenziell. Es gibt ständig Neuerungen – von Produkten, deren Indikationen über Studiendaten bis hin zu neuen wissenschaftlichen Ergebnissen, die Guidelines beeinflussen.
Ein Beispiel: Thema Husten – der aktuelle Beratungsleitfaden enthält klare Empfehlungen zum Start der Klassifizierung nach der Dauer der Symptome – und diese Information ist wichtig und muss entsprechend kommuniziert werden. Das neueste Update dazu wird übrigens voraussichtlich 2025 erscheinen.
Eine Anmerkung in dem Zusammenhang: Natürlich ist für eine Fortbildung immer entscheidend, welches Wissen in der Apotheke an der Tara benötigt wird und welche Information im Rahmen eines wissenschaftlichen Kongresses relevant ist, bzw. wo sich beides überschneidet. Das ist v.a. bei der Erstellung der Fortbildungsmaterialien essentiell.
- Der Wirtschaftsaspekt:
In einer stationären Apotheke ist die Qualität der Beratung ein entscheidender Faktor für die Kundenbindung und -beziehung. Fundierte und kompetente Beratung ist entscheidend, um sich von der Konkurrenz abzuheben – sei es von anderen Apotheken oder dem Versandhandel. Zudem können Produktgruppen wie Nahrungsergänzungsmittel oder Kosmetika auch an anderen Orten gekauft werden. Hier kommt es darauf an, Kund:innen durch hochwertige Beratung einen echten Mehrwert zu bieten.
Was schätzt du persönlich an Fortbildungsangeboten für Apotheker:innen und welche Kriterien sind für dich entscheidend, um an einer Fortbildung teilzunehmen?
Für mich ist es das Interesse am Thema bzw. der Bedarf an Informationen. Für mich geht es um Wissenszuwachs und um Relevanz, die Zeit muss gut investiert sein. Objektivität und Richtigkeit setze ich als selbstverständlich voraus.
Zusätzlich kann ein sehr guter Vortragender für mich ebenfalls eine Motivation sein, eine Fortbildung zu besuchen. Die Fortbildungen des leider viel zu früh verstorbenen Dr. Hans Haltmayer zum Thema „Sucht und Substitution“ sind für mich ein Beispiel. Vom fundierten Background bis zum Anwendungsbeispiel an der Tara war in seinen Fortbildungs-veranstaltungen alles dabei. Er hinterlässt in vieler Hinsicht leider eine große Lücke in Österreich.
Welche Fortbildungsangebote wünschst du dir für deinen Berufsstand zukünftig verstärkt, was wird in der Praxis wirklich benötigt?
Apotheker:innen sind eine sehr heterogene Gruppe: Alterstechnisch ist von Boomer bis Gen Z alles vertreten. Während einige noch gerne mit Papier arbeiten, sind andere vollständig digital unterwegs. Diese Vielfalt spiegelt sich auch in der Art der Fortbildungsangebote wider – sowohl Präsenzveranstaltungen wie zuletzt bei den ApoKongressen in Wien und Salzburg, als auch virtuelle bzw. digitale Formate werden gut angenommen.
Was die Themen betrifft, sehe ich derzeit ein großes Interesse an Phytotherapie und Medikationsanalyse, aber generell ist das Interesse an Fortbildungen hoch. Um die Bedürfnisse besser zu verstehen, würde ich empfehlen, Umfragen oder Marktanalysen durchzuführen und die Ergebnisse bei der Gestaltung der Inhalte und Formate zu berücksichtigen. Dabei sollte man auch die Zielgruppen der angestellten und selbstständigen Apotheker:innen separat betrachten, da ihre Interessen voneinander abweichen können.
Was sind deiner Erfahrung nach die größten Hindernisse oder Herausforderungen, die Apotheker:innen bei Fortbildungsmaßnahmen haben, und wie kann man diese überwinden?
Hindernisse bei Fortbildungen sind oft zeitlich bedingt. Eine Fortbildung muss deshalb möglichst leicht erreichbar und auch im Nachhinein on-demand einfach (!) abrufbar sein.
Ein weiterer Aspekt ist die Optimierung für mobile Endgeräte, Stichwort: Mobile first – das gilt auch für Apothekenmitarbeiter:innen. Podcasts sind ebenfalls eine interessante Ergänzung, auch wenn die Möglichkeit zur Visualisierung fehlt.
Wichtig ist, dass die Inhalte flexibel und einfach zugänglich sind, um die Teilnahme zu erleichtern.
Wie können Pharmaunternehmen aus deiner Sicht die Fortbildung von Apotheker:innen und PKAs gezielt unterstützen? Welche Formate und Inhalte wären besonders hilfreich?
Pharmafirmen könnten die Sommermonate stärker nutzen, da während dieser Zeit häufig auch in Apotheken ein „Sommerloch“ herrscht. Es ist nicht Jede:r da, aber J:eder der da ist, wird zuhören! Im Herbst ist dann natürlich ein Reminder sinnvoll, um das Thema „aufzufrischen“.
Es erstaunt mich immer wieder, dass diese ruhige Phase von der Pharmaindustrie nicht besser genutzt wird!
Du bist ja nicht nur potenzielle Teilnehmerin an Apothekenfortbildungs-veranstaltungen, sondern bist z.B. für die Österreichische Apothekerkammer, aber auch für Partner der pharmazeutischen Industrie, zu einer gefragten Vortragenden geworden. Was sind aus deiner Sicht die wichtigsten Elemente, die eine Fortbildung erfolgreich machen? Gibt es spezielle Punkte, die du bei deinen eigenen Fortbildungen immer einbaust?
Fortbildung muss vor allem eins leisten: Weiterbildung. Das bedeutet, dass sie in erster Linie einen echten Wissenszuwachs bietet – egal, ob es sich um ein neues Produkt, ein aktuelles Thema, neue Studiendaten oder ein Update handelt. Außerdem ist es wichtig, alle Teilnehmer:innen auf ihrem jeweiligen Wissensstand abzuholen und mitzunehmen. Dieser Spagat ist nicht immer einfach, aber entscheidend für den Erfolg. Und letztlich muss für mich persönlich jede Fortbildung praxisrelevant sein – sie sollte direkt anwendbar sein und den Berufsalltag spürbar unterstützen.
Objektivität und die Belegbarkeit der vermittelten Inhalte sind für mich selbstverständlich.
Ich passe meine Fortbildungen immer individuell an die jeweilige Firma, das Thema und die Zielgruppe an. Dabei ist mir besonders wichtig, den Teilnehmer:innen praktische Insights mitzugeben – wie sie ihr Wissen an Patient:innen und Kund:innen weitergeben können. Ich finde, genau dieser „letzte Schritt“ wird oft übersehen, obwohl er für den Berufsalltag, das Beratungsgespräch direkt an der Tara, so entscheidend ist.
Zusammengefasst: Eine gute Fortbildung vermittelt nicht nur Wissen, sondern gibt den Teilnehmer:innen konkrete Werkzeuge an die Hand, die sie direkt an der Tara umsetzen können.
Welche Trends siehst du für die Apothekenfortbildung in den kommenden Jahren, und wie sollten sich Pharmaunternehmen darauf einstellen? Was würdest du einem Brand Manager raten, um zukünftige Fortbildungsmaßnahmen zu gestalten?
Durch die verpflichtende Fortbildung für Apotheker:innen seit dem Juli 2024 wird sicher ein Trend zu akkreditierten Fortbildungen bestehen – schließlich müssen die Apotheker:innen in 3 Jahren 150 Punkte sammeln. Das entspricht in etwa einem Zeitaufwand von 25 Stunden pro Kalenderjahr, folglich werden sich viele Apotheker:innen bei ähnlichen Fortbildungsangeboten der akkreditierten Variante den Vorzug geben.
Ich würde daher Brand Manager:innen raten, akkreditierte Konzepte anzustreben – und mich in diesem Zusammenhang auf 3 Tipps fokussieren:
- In der zeitlichen Planung auch den Zeitbedarf für die Akkreditierung (Stand Dezember 2024: 8 Wochen) berücksichtigen
- Akkreditierte Fortbildung schließt eine Produktpräsentation nicht aus: Es geht darum, präzise zu arbeiten und den Fortbildungsteil von Werbung zu trennen
- Ansonsten, wie immer: Trends und Marktbedürfnisse berücksichtigen!
Liebe Julia, vielen lieben Dank für deine Zeit und den bunten Strauß an Insights, die du uns heute mitgegeben hast. Ich freue mich schon auf viele weitere Gespräche & Kooperationen mit dir 😊
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